Reisebericht


In diesem Jahr sollte es etwas Größeres werden und da aus dem auf dieser Seite vor einem Jahr angekündigten Projekt 10.000+ mit Anmeldung beim Guinness Buch der Rekorde aus formalen Gründen nichts wurde, habe ich mich kurzfristig in Richtung Ostanatolien-Kaukasus umorientiert, sodaß daraus ein Projekt 9000+ wurde.
Immerhin.

Zunächst wieder Start in Berlin-Schöneberg. Diesmal allerdings mit etwa 15 kg Trekking- und Campingausrüstung am Mountain-Bike. So geht die Fahrt zunächst in Richtung Dreiländereck D-PL-CZ, dann weiter nach Osten in Richtung hohe Tatra. Dann scharf nach Süden in Richtung Plattensee, weiter nach Belgrad, von dort weiter ins Kosovo, nach Priština und Prizren. Abgesehen von den auf den Straßen patroulierenden KFOR-Einheiten merkt man nichts davon, daß sich der Konflikt um die, sich einseitig für unabhängig erklärte Republik Kosovo in einer Hängepartie befindet. Alles vollkommen unproblematisch. Dann, weil´s vor 2 Jahren so interessant war, wieder durch Albanien.

Kurz hinter der Grenze Überraschung: Ich stoße auf eine 6-spurige, kaum befahrene Autobahn (4-spurig plus 2 Standspuren) Traumhaft, nur die Infrastruktur (Tankstellen, Raststätten, Beschilderung) fehlt noch. Geisterbahn... Nach etwa einer Stunde macht es klick: Das hier muß eine andere Straße sein, als die, die auf meiner Karte verzeichnet ist. Auch die (sehr kleinen) Ortschaften an den Ausfahrten finde ich nicht auf meiner Karte. Ab und zu weißt ein Hinweisschild darauf hin, daß es hier nach Tirana geht. Immerhin, die Richtung stimmt. Aber eine Kilometerangabe fehlt. Alles wirkt surreal. Eine 6-spurige Autobahn modernsten Standards durch die wilde Berglandschaft, nur sehr vereinzelt ärmliche Hütten von Kleinstbauern. Kaum Menschen. Alles gewöhnungsbedürftig. Aber: Nur weil die Leute so arm sind und einige von ihnen für unseren Geschmack zum Fürchten aussehen, heißt das noch lange nicht, daß das Räuber sind. Dann ein Schild: Tunnel.

Überraschung: Das Ding ist 8000! Meter lang. Am Tunneleingang technisches Aufsichtspersonal und Sicherheitskräfte der Verkehrspolizei. Wunderbar kühl im Tunnel. Das Auspacken und installieren der (eigens für Tunnel angeschafften) 900 Lumen Lichtkanone ist nicht nötig, da der Tunnel wunderbar beleuchtet ist. Modernster Standard, kein im Dunkeln tappen. Nachdem ich in dem Tunnel verschwunden bin, bemerke ich, daß sonst keine weiteren Fahrzeuge im Tunnel unterwegs sind. Aber 100 Meter hinter mir fährt ein Begleitfahrzeug des technischen Aufsichtsdienstes, Pickup mit 2 Mann an Bord. Tunnel wurde offenbar kurzfristig für anderweitige Fahrzeuge in beide Richtungen gesperrt. Alles noch nicht weiter bedenklich. Nachdem ich bereits mehr als die Hälfte geschafft habe, überholt mich das Fahrzeug und winkt mich an den Tunnelrand. Einer der beiden spricht englisch. Ich soll mein Rad hinten draufladen und zusteigen. Bei denen piept´s wohl, jetzt bin ich fast durch und da schaffe ich den Rest auch alleine. 15 Minuten Diskussion und dann lassen sie mich schließlich doch weiterfahren.

Am nächsten Vormittag Fahrt durch Tirana. Eindrücke total anders, als ich sie von vor 2 Jahren in Erinnerung habe. Und nun, aufgepaßt: Der Unterschied im Straßenbild beispielsweise zu Berlin ist deutlich kleiner geworden. Das sollte zu denken geben....

Nächstes High-Light: Die Begegnung mit einer Wasserschlange im albanischen Teil des Ohridsees. Siehe Foto (Wasserschlange leider nicht komplett, das Tier war zu flink.) Überall am Ohridsee bieten fliegende Angler Fische an. Und es gibt vereinzelt Camping- und Zeltplätze. 3-Stufen-Camping: Stufe 1(für Anfänger): Verpflegung im Supermarkt oder Campingplatzrestaurant. Stufe 2 (für Fortgeschrittene): Fisch beim Angler/Fischer kaufen und selber grillen/kochen. Stufe 3 (Hardcore-Camping): Fisch selber angeln/fischen, dann weiter mit Stufe 2.

Weiteres mögliches High-Light: Übernachten in einem albanischen Bunker. Hab so einen mal genauer unter die Lupe genommen: Nicht verschlossen!!! Doch Vorsicht: Das Ding könnte bereits bewohnt sein....Eher was für verwegene Typen. Bin dann doch lieber auf einen Zeltplatz. Am nächsten Morgen weiter nach Mazedonien und dann nach Griechenland.

Bei Keşan über die Grenze in die Türkei und weiter zu den Dardanellen. Kurze Fährverbindung hinüber nach Çanakkale. Straßenzustand in der gesamten Türkei deutlich ruppiger wie in den übrigen Teilen Europas. Grobstasphalt, fährt sich wie leichtes Kopfsteinpflaster, eher eingelassene Steine als Asphalt, man wird kräftig durchgeschüttelt. Preisniveau immer noch deutlich niedriger als in Westeuropa, das gilt auch für die Unterkünfte vom Campingplatz bis zum Mehr-Sterne-Hotel. Einen Wecker braucht man nicht mitzubringen, zumeist ist eine Moschee in der Nähe, ab 04:30 (von Moschee zu Moschee unterschiedlich) ertönt der erste Weckruf des örtlichen Muezzins. Laut und durchdringend. Dauer ungefähr 15 Minuten, das dürfte auch für hartnäckige Langschläfer reichen. Ist auch besser so bei der Hitze tagsüber, wenn man früh auf dem Rad sitzt.

Weiter über Izmir nach Pamukkale. Ausgesprochen interessanter Ort. Kalksinterterassen äußerst beeindruckend. Dann weiter zu den Küsten, Fethiye, Antalya, Alanya. Beeindruckende Küstenpanoramen. Überwiegend Steilküste. Dahinter landeinwärts Adana. Auch an den Küsten geht es ständig rauf und runter, das Ganze mit bis zu 14 % Steigung. Die gewonnenen Höhenmeter gibt man anschließend zumeist gleich wieder ab. Östlich von Adana kommt mir ein Fernradler aus dem Iran (Teheran) entgegen. Da, wo er noch hin will, war ich schon und umgekehrt. Wir tauschen Informationen aus. Es geht hinein nach Ostanatolien. Kurdisches Siedlungsgebiet. Heiße Zone in doppelter Hinsicht.

Ich bewege mich in einer lebensfeindlichen Zone. Ostanatolische Mondlandschaften. Alle 30 km eine Tankstelle zum Wasser nachfüllen, alle 100 km eine Stadt. Mitten in der Einöde vereinzelt kurdische Siedlungen. Temperaturen von über 40°C, nirgends Schatten. Gegend um Diyarbakir mit neuem Hitzerekord, 47°C, der Körper kocht vor Hitze.

Auch sicherheitstechnisch kein leichtes Pflaster. Die in der Region verteilten Stützpunkte des türkischen Militärs sind offenbar häufig Angriffsziele kurdischer Untergrundkämpfer. Erstürmungsgesichert und mit großem Sandsackvorrat. Die Einheiten bewegen sich in gepanzerten Fahrzeugen Überland, optisch wie leichte Panzer, allerdings mit Gummibereifung. Deutlich mehr Sicherungsmaßnahmen gegenüber der Westtürkei und den Küstengebieten. Man merkt, daß hier ein verdeckter Bürgerkrieg stattfindet, der jederzeit in einen Offenen umschlagen kann. Feindseeliges Klima auch gegenüber Touristen, die dem türkischen Staat dringend benötigte Devisen einbringen. Hinter jeder Kurve neue Unsicherheiten zu erwarten. Höchste Konzentration und Augenmaß erforderlich, um unbeschadet durchzukommen. Wer entspannt radeln will, sollte sich nur an den Küsten oder der Westtürkei bewegen. Kontakt mit der Bevölkerung problematisch. Freies Camping eher unangesagt. Man merkt, diejenigen, die finanziell profitieren (Inhaber kleiner Beherbergungsbetriebe, Geschäftsinhaber, Tankstellenbetreiber) sind anders.

Östlich von Diyarbakir geht es ins Gebirge und hinauf zum Vanseeplateau. Das macht das Vorwärtskommen nicht leichter. Ich bewege mich weiterhin in einer feindlichen Zone. Für die gesamte Region gilt: Alles, was noch einigermaßen mobil ist, rennt zur Straße. Einige bleiben am Straßenrand stehen und winken freundlich. Andere betteln: "money". Wieder andere werfen mit Steinen oder versperren einem den Weg. Wichtigster Faktor, um durchzukommen: Man darf weder gesehen noch gehört werden.

Also Geklapper an den Trinkflaschen abstellen, flecktarn T-Shirt drüber und bunten Sturzhelm hinten ins Gepäck. Damit gewinnt man wertvolle Sekunden. Ehe die aufwachen, ist man schon durch. Abends in den Ortschaften lieber in den Supermarkt/Imbiss/das Restaurant neben der Unterkunft als durch den Ort laufen. Jeder Meter ein Sicherheitsrisiko. Hasserfüllte Blicke. Morgens so früh es geht raus aus dem Ort. Morgens sind die radikalen Elemente noch in ihren Betten bzw. noch nicht richtig wach. Auch Wut und Hass müssen langsam wach werden am Morgen.

Bei Doğubayazit dann der einzigste ernste Zwischenfall: Einer der Kuhhirten rennt vor mir quer über den Acker zur Straße. Zunächst unterschätze ich ihn, er wirkt wie ein 13-jähriger Junge. Ich mache Tempo, aber mehr wie 20 km/h wird´s nicht bei dem Gegenwind und leichter Steigung. Als er an der Straße angekommen ist, sehe ich, daß es ein ausgewachsener Mann von ca. 18 Jahren ist, klein, aber stämmig. In beiden Händen Kuhdung. Er stellt sich mitten auf die Fahrbahn und verfeuert zunächst den Kuhdung. Aber die Reichweite ist zu kurz, der Kuhdung klatscht vor mir auf die Straße. Dann zieht der Typ seinen Stock vom Kühe hüten und schlägt wild um sich. Er versucht, auf mich einzuschlagen. Ich bin nun gleichauf und blicke in ein Gesicht so voll Hass, unglaublich, lange nicht mehr gesehen. Ich zeige ihm den Vogel. Der Typ greift eine meiner beiden Packtaschen und versucht, sie abzureißen. Das gelingt ihm auch teilweise. Ein Haken löst sich und nun schleift die Tasche am Hinterreifen. Das Tempo reduziert sich daraufhin auf etwa 13 km/h. Ich trete, was das Zeug hält. Der Typ rennt hinter mir her wie ein Wahnsinniger. Ich gebe alles. Der Typ gibt nicht auf. Aber langsam wird der Abstand größer. Immer noch ist ein Stoppen nicht möglich, der Vorsprung reicht nicht. Vor mir ein Anstieg, 6-8 % Steigung, dahinter eine Rechtskurve. Ich gebe das Allerletzte. Auf dem Top des Anstieges sehe ich, daß der Typ aufgegeben hat. Hinter der Kurve steige ich schließlich vom Rad und befestige die Packtasche neu. Nichts verloren, nichts beschädigt. Aber das hätte böse ins Auge gehen können....

Frei laufende türkische Hirtenhunde, große Rasse, sehr aggressive Tiere, die nicht! von ihren Besitzern (kurdische Viehhirten, Militärstützpunkte) zurückgepfiffen werden.

Ich passiere den Ararat, der Gipfel ist schneebedeckt.
Nördlich von Kars entspannt sich dann die Lage. Ich kann den Helm wieder aufsetzen. Ich befinde mich im türkisch-armenischen Grenzgebiet. Offizielle Grenze nach Armenien derzeit geschlossen. Den sich anbietenden Trampelpfad hinüber mit entsprechendem Warnhinweis "verbotene Zone" nehme ich dann doch lieber nicht und fahre stattdessen weiter zum Schwarzen Meer und dann entlang der Küste zur Grenze nach Georgien. Hier reiht sich Tunnel an Tunnel. Etwa 20 dürften es sein.

10 Kilometer vor der Grenze stoße ich auf das Ende der LKW-Schlange, etwas später beginnt die Pkw-Schlange. Dann die Fußgängerschlange. Sie ist ungefähr einen Kilometer lang. Wer hier hinein will, muß kräftig drängeln können. Oder viel Zeit mitbringen. Oder Glück haben. Ich habe Letzteres. Nach 30 Minuten sitze ich wieder auf dem Rad mit Kurs auf den georgischen Küstenort Batumi. Dort zunächst Unterkünfte nur im oberen Preissegment. Nachdem ich die Stadt drei mal umrundet habe, finde ich schließlich doch noch was Passendes.

Am nächsten Morgen auf der Küstenstraße wieder zurück in die Türkei. Es ist Sonntag früh und kaum Verkehr. So geht die Abfertigung überraschend fix. Fortsetzung der Tour entlang der Schwarzmeerküste und in Richtung Istanbul.

Am Anfang geht es flott vorwärts, alles flach und auf bestem Asphalt.

In Giresun dann ein grober Fahrfehler, bei dem ich mir die Vorderradfelge komplett ruiniere. Aber ich habe Glück im Unglück. In dem Ort gibt es einen sehr gut sortierten Fahrradladen mit spitzenmäßiger Werkstatt. Am nächsten Morgen ist das Vorderrad mit neuer Felge wieder eingespeicht, das Ganze für schlappe 20 Euro. Fortsetzung der Fahrt in Richtung Istanbul.

Hinter Samsun wird es erneut mühsam. Ständig geht es rauf und runter, auch längere Anstiege von einigen hundert Höhenmetern mit bis zu 14 % Steigung. Und erneut sehr schlechter Straßenzustand. Teilweise üble Umleitungen, jeweils um die 10 km, geschottert, Auswaschungen, steil hinein ins Gebirge und dann die ganze Pracht wieder hinunter zur Küste. Auf so einer Tour, da gibt es Tage, da ist jeder Meter Kampf, den man auf einer schlechten Straße dem Berg abringt. Trotzdem, aufgeben gilt nicht. Zähes Ringen, Meter für Meter. Am Abend weiß man, was man getan hat.

In Istanbul habe ich eigentlich vor, vom Rad zu steigen und den Bus zu nehmen. Fahre dann doch spontan weiter in Richtung Edirne. Und da das Zusteigen in den aus Istanbul kommenden Bus nicht auf Anhieb klappt, entscheide ich mich kurzfristig, doch lieber selber nach Südbulgarien hineinzufahren. In Harmanli, einer kleinen Ortschaft bei Simionovgrad steige ich dann endgültig vom Rad und nehme den Bus nach Sofia, einen Tag später den nach Berlin. Alles wieder vollkommen unproblematisch.

Fazit meiner ersten richtigen Camping-Radtour mit Zelt, Schlafsack und Isomatte: Es gibt Einiges zu optimieren, aber die Richtung stimmt.